Limited blindness
Foto: Paula Bogati
Mit dem Angriff auf die Ukraine entwurzeln sich lang angestammte politische Haltungen der Menschen auch hierzulande. Limited blindness lässt driftende wie verhärtete Positionen aufeinander knallen: Westeuropäische Schauspieler:innen, der polnisch-deutsche Autor Przemek Zybowski und ukrainische Musiker:innen ringen um Frieden und Schuld.
„Der Naturzustand ist ein Zustand des Krieges, Frieden muss gestiftet werden.“ proklamiert Kant in seinem Entwurf „Zum ewigen Frieden“, später Vorlage der UNO-Charta. Wie geht so ein Akt der Friedensstiftung?
Während im hiesigen Alltag die Positionen immer weiter auseinanderdriften, entsteht zum 9. November im Theater im Delphi ein Ort der Konklusion. Die Performer:innen beschwören Frieden in einer theatralen Séance oder auch in Selbstkasteiungen, fortwährend andere Wangen hinhaltend. Sie stürzen sich diskursiv in Denkfiguren von Kant oder Latour, um sie aufs banale wie desaströse Jetzt anzuwenden. Sie blasen neoliberale oder sozio-aktivistische Friedensutopien in ihre Absolutheit auf – bis zum Platzen. Liebreizende Versprechen heutiger Friedensdemagogen werden auf der als verruchtes Moka Efti aus Babylon Berlin bekannten Delphi-Bühne bis in ihre Perversion ausgestülpt.
Ist es möglich, aus den sich reibenden Friedenssehnsüchten und ihren Trümmern im Labor des Theaters neue Klarheiten zu kristallisieren?
Przemek Zybowski, Autor und Psychiater, schreibt für die Arbeit das dramatische Langgedicht „Oh wie schön ist das Westerland“, ein traumatisches Tiefenpsychogramm west-östlicher Beziehung. Emilia Lomakova und Viktor Krysyuk komponieren an Gitarre, Cello und Soundsystem Klänge zwischen romantischer und neuer Musik, ihre Zerrissenheit zwischen Ausnahmezustand in der Ukraine und Berliner Alltag aufspürend. Die Live-Musik trifft auf die verkörperten Ordnungssysteme und Friedensvorschläge westlicher Denker:innen wie Populist:innen - und auf Bildbomben des Videokünstlers Pedro Deltell. Regisseur und Initiator Heiko Michels dirigiert diese Kollision aus Phantasmen und Fakten.
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LIMITED BLINDNESS
Limited blindness ist eine Assoziation performativ arbeitender Künstler*innen. Sie realisieren Theaterarbeiten an der Schwelle zu Klangkunst, Literatur/ Philosophie und experiential art.
Seit 2002 veranstalten sie Interventionen an spezifischen Orten, zu aktuellen drängenden Anlässen. Mit experimentellen Strategien verschieben sie Wahrnehmungskonventionen, schärfen Aufmerksamkeiten für politische Erfahrungen, die sonst am Rande des Blickfeldes verharren – es entstehen raumfassende, sinnliche und direkte Theatra.